Der durch den Corona-Virus ausgelöste Notstand berührt derzeit alle Menschen und Themen. Da sich dieser Blog dem Ideenmanagement widmet, habe ich mir Gedanken gemacht, was die aktuelle Situation für das Ideenmanagement bedeutet und noch bedeuten könnte. Dazu gehören auch Überlegungen zu der Frage, was Unternehmensleitungen, Führungskräfte und nicht zuletzt auch Ideenmanager zur Bewältigung beitragen können.

Auf das Ideenmanagement sehe ich vor allem folgende Auswirkungen:

• Wo ein Shutdown erfolgt, da ist auch das Ideenmanagement „shut down“.
• Aufmerksamkeits- und Ressourcenmangel führent zu Beeinträchtigungen.
• Not macht erfinderisch. Es sind nun Dinge machbar, die vorher nicht einmal denkbar waren.
• Ein von Mit-Menschlichkeit geprägter Umgang gewinnt an Bedeutung.

Aber das Ideenmanagement wirkt sich auch auf die Krisenbewältigung aus:

• Die Weiterführung des Ideenmanagements stärkt die Unternehmenskultur.
• Das Ideenmanagement kann konkrete Beiträge zur Bewältigung des Notstands leisten.

Shutdown für das Ideenmanagement?

Wenn Bänder gestoppt, Prozesse unterbrochen und Tätigkeiten eingestellt werden, dann gibt es erst einmal nichts mehr zu tun und damit auch nichts zu verbessern – zumal eh niemand weiß, wie es hinterher weitergeht. Verbesserungen (im Sinne des Ideenmanagements) beziehen sich stets auf einen vorhandenen Standard (Soll-Zustand), der durch die Ideen erhöht werden soll. Wenn aber sowieso nichts mehr so läuft, wie es „soll“, weil es nur noch darum geht, Ad-hoc-Lösungen für existentielle Notwendigkeiten zu finden, dann macht das Denken in Standards und Verbesserungen keinen Sinn mehr.

Trotzdem sind natürlich Ideen gefragt – sogar mehr denn je! Dies aber so dringend, dass die Bearbeitung nicht im Rahmen der eingeführten                                                   (Ideen-)Managementroutinen, sondern als Teil des Notfallmanagements erfolgen muss.

Nun ist ein Shutdown selten 100%ig. Grundfunktionen und Basisroutinen werden immer noch aufrechterhalten. Idealerweise gehört dazu auch ein „Not-Ideenmanagement“, das die in der Not entwickelten Ideen sammelt (s.u.). Dieser Ideenspeicher könnte zu einem späteren Zeitpunkt als evtl. wertvolle Ressource nochmals gezielt ausgewertet werden.

Aufmerksamkeits- und Ressourcenmangel

Krisenbedingte Beeinträchtigungen des Ideenmanagements ergeben sich aus mehreren Umständen:

• Mentale Belastungen der Mitarbeiter. Aufgrund von Sorgen um Ansteckungsgefahren, den Arbeitsplatz und die weitere Entwicklung hat man „den Kopf nicht mehr frei“ für Gedanken und Ideen zu Verbesserungen.

• Nachlassen der Aufmerksamkeit von Seiten der Leitungs- und Führungsebenen, da sie noch mehr als sonst mit wichtigeren Themen beschäftigt sind.

• Zurückstellung oder Ablehnung von Vorschlägen, die zunächst eine Ausgabe oder eine Investition erfordern würden, aus Gründen der Liquiditätssicherung. Auch Vorschläge, deren Umsetzung sich bei „normalen“ Stückzahlen lohnen würde, müssen bei geringerer Auslastung zurückgestellt oder abgelehnt werden.

• Bei Kurzarbeit kommen zusätzliche Probleme hinzu: So sind die internen Kommunikations- und Abstimmungsprozesse, die für die Bearbeitung und Entscheidung von Vorschlägen erforderlich sind, empfindlich gestört. Im Zweifelsfall sind jeweils die Personen, die miteinander sprechen müssten, nicht gleichzeitig anwesend oder im Home-Office erreichbar. Zudem werden meist gerade die Führungskräfte, die für die Bearbeitung von Vorschlägen zuständig sind, durch den organisatorischen Mehraufwand der Kurzarbeit besonders belastet. Auch die Kapazitäten für die Umsetzung von Vorschlägen sind reduziert und werden dringend für die Aufrechterhaltung des laufenden Geschäfts benötigt.

Aus der Not geborene Ideen 

Not zu überwinden, ist anstrengend – und: Not macht erfinderisch. Der aktuelle Notstand zwingt Unternehmen und ihre Mitarbeiter dazu, Grenzbereiche auszuloten, in die sie sich freiwillig nie begeben hätten. Damit werden aber auch mögliche Lösungsräume erweitert, in denen disruptive Neuerungen entstehen können. Angesichts der Erfahrung und im Eingeständnis der eigenen Unkenntnis denkt man über Dinge nach, über die man zuvor noch nie nachgedacht hat.

Und es werden plötzlich Dinge machbar, zu denen vorher „das geht doch nicht“ Konsens war. Auch wenn es einen ungeheuren Kraftakt verlangt – man staunt, was dann doch alles geht, wenn man es will, weil man es muss.

Kraftakte kann man nicht dauerhaft durchhalten – aber wenn man mit ihrer Hilfe und kühlem Kopf die Not überwunden hat, kann die Erinnerung an solche Grenzerfahrungen eine wertvolle Ressource sein. Man sollte das, was jetzt möglich wird, daher gut im Gedächtnis behalten, um es später bei Bedarf als Argument gegen (den irgendwann mit Sicherheit wieder einkehrenden) Gewohnheitstrott und Killerphrasen verwenden zu können.

Mit-Menschlichkeit gewinnt an Bedeutung 

In den letzten Tagen fällt mir auf, dass viele Menschen freundlicher und „menschlicher“ miteinander umgehen. Wo früher geschäftliche Dinge sachlich und möglichst schnell abgehandelt wurden, wird jetzt auch mit ehrlichem Interesse nach dem persönlichen Befinden gefragt. Wo man beim Spazierengehen befürchten musste, angerempelt zu werden, weil jeder stur seinen Weg verfolgte, weichen sich die Menschen nun vorausschauend einander aus, und es kommt häufiger zu einem freundlichen und Verständnis signalisierenden Augenkontakt oder gar Lächeln.

Das könnte vielleicht daran liegen, dass uns angesichts der „ernsten Lage“ eindringlicher als sonst bewusst ist, dass wir alle in erster Linie Menschen sind, die alle in gleichem Maße gefährdet sind – und demgegenüber die sonstigen Rollen (als Geschäftspartner, demgegenüber vor allem die Effizienz der Interaktion zählt; als Konkurrent um den Platz auf dem Gehweg; usw.) in den Hintergrund treten, unter dem existentiellen Blickwinkel sogar bedeutungslos werden.

Zudem erleben wir gerade, wie der (speziell im Zusammenhang mit dem Ideenmanagement zum Überdruss abgedroschene) Spruch „der Mensch ist Mittelpunkt“ (statt: „der Mensch ist Mittel. Punkt“) mit beeindruckender Konsequenz gelebt wird. Es wird alles getan, um Menschenleben zu retten – selbst um den Preis von unkalkulierbaren Folgen für die Wirtschaft und das allgemeine Wohlstandsniveau. Im Mittelpunkt steht tatsächlich der Mensch. Gleichzeitig gibt es besondere Anerkennung für einige gering bezahlte Berufsgruppen, deren Bedeutung nun nicht mehr nur Gegenstand von Reden ist, sondern von jedem sehr real und persönlich erlebt wird.

Diesen Gedanken kann man entgegenhalten, dass doch auch das Gegenteil von freundlichem Verhalten beobachtbar ist: Etwa, wenn Leute Hamsterkäufe tätigen, die „sinnlos und letztlich vollkommen unsolidarisch“ sind. Und man kann fragen, ob nicht vieles schlichtweg nur Gefühlsduselei ist. Völlig zu Recht haben Betroffene ja in den sozialen Medien darauf hingewiesen, dass man sich vom Beifallklatschen auf Balkonen nichts kaufen könne.

Und dennoch: Selbst wenn ein großer Teil der aktuell gelebten Mitmenschlichkeit nach der Rückkehr von Normalität wieder an Bedeutung verlieren sollte (weil sich auch die durch die existentielle Bedrohung hervorgerufenen Gefühlslagen wieder verlieren), wird es für das Ideenmanagement immerhin hilfreich sein, möglichst viel davon zu bewahren – und sei es nur im Gedächtnis, um später einmal darauf verweisen zu können. Es geht darum, hinter eingereichten Vorschlägen stets auch den Menschen mit seinem Anliegen zu sehen und zu respektieren.

Hamsterkäufe als Symptom: Noch eine Bemerkung zu den Hamsterkäufen: Ja – sie sind sinnlos und unsolidarisch. Aber sie sind auch ein Ausdruck der tiefen Verstörung, die das Erleben eines Notfalls bei Menschen bewirken kann. Die derzeit erlebte Not besteht nicht in materiellen Defiziten, sondern im Verlust von Grundvertrauen und im Kontrollverlust.

• Vertrauensverlust: Es geschieht etwas, was man bisher nicht für möglich gehalten hätte. Das Vertrauen ist erschüttert, dass so etwas nicht geschieht; mit der früheren Gewissheit geht das Sicherheitsgefühl verloren.

• Kontrollverlust: Im Notstand ist man nicht mehr Herr der Dinge; das Geschehen ist außer Kontrolle. Es ist auch nicht erkennbar, dass es irgendein anderer unter Kontrolle hat. Die eigenen Handlungsoptionen schwinden (z.B. im Hinblick auf die Auswahl von Freizeitaktivitäten und von Orten, die man aufsuchen darf), es wird über einen entschieden. Und auch damit geht Sicherheitsgefühl verloren.

Diese Verluste rufen starke Emotionen hervor, in erster Linie natürlich Ängste. Dem mit rationalen Argumenten („sinnlos“) oder mit dem moralischen Zeigefinger („unsolidarisch“) zu begegnen, ist nur bedingt hilfreich. Für Hamsterkäufer hat ihr Verhalten durchaus „Sinn“ – nämlich den, dass sie sich zumindest noch ein Stückweit das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kontrollmacht verschafft haben. Es geht weniger darum, was man „erkämpft“ hat, sondern eher darum, dass man sich überhaupt als „kämpfend“ erlebt hat (also als ein die Situation kontrollierender Akteur). Die Gegenpole sind Flucht (Realitätsverleugnung, Verschwörungstheorien) oder Resignation. Kampf, Flucht und Totstellen sind die instinktiven Reaktionsmuster auf existentielle Bedrohungen.

Bedürfnis nach Haltefunktion: Damit Menschen nicht in solche Reaktionsmuster verfallen, brauchen sie Halt und Orientierung, brauchen sie einen verlässlichen, verständlichen, klaren und eindeutigen Rahmen. Unternehmen sind gefordert, eine Sicherheit vermittelnde Haltefunktion auszuüben. Das kann auf verschiedenen Wegen geschehen.

• Aussagen und Erklärungen von maßgeblichen Personen, die das Geschehen sachlich einordnen und Möglichkeiten für einen angemessenen Umgang mit Herausforderungen und Belastungen aufzeigen und vorleben (etwa Aushalten von Unkenntnis, wie es weitergeht; Nicht-Planbarkeit; sich Einlassen auf völlig Unbekanntes). Neben den Unternehmensleitungen, Vorständen und Geschäftsführern sind auch Führungskräfte, Betriebsräte und nicht zuletzt die Ideenmanager für viele Mitarbeiter wichtige Bezugs- und Vertrauenspersonen.

• Aufrechterhaltung von Normalität in möglichst großem Umfang. Dies gilt etwa für die alltäglichen Routinen für die zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungspflege. Es betrifft auch die Stabilisierung der grundlegenden Werte und Bestandteile der Unternehmenskultur. Hier gibt es viele Berührungspunkte mit dem Ideenmanagement, die ich weiter unten konkretisiere.

Ideenmanagement als Teil der Kultur erhalten 

Auch in Zeiten des Notstands gibt es gute Argumente für eine bewusste Weiterführung des Ideenmanagements:

• In jeder Notlage besteht die Gefahr des „Rückfalls von der Zivilisation in die Barbarei“ – getreu der Maxime „Not kennt kein Gebot“. Dadurch sind viele Werte bedroht, die in jahrelanger Kleinarbeit in die Unternehmenskultur integriert wurden. Jede Unternehmensleitung sollte deutlich machen, dass auch – und gerade – in der Not ein bestimmtes Niveau an „Normalität“ in Verhaltensweisen, Umgangsformen und Umsetzung von grundlegenden Werten aufrecht erhalten werden muss. Dies ist um so wichtiger, als das, was selbst in der Not Bestand hat, auf Jahre hinaus kulturprägend sein wird. Daher müssen Unternehmen in Krisenzeiten alles pflegen, was sie dauerhaft als Selbstverständlichkeiten ihrer Kultur etablieren wollen. Ideenmanagement sollte zur „Alltags-Ausstattung“ gehören, die auch in schwierigen Phasen nicht als „Ballast“ über Bord geworfen wird.

• Noch selten war ein so hohes Maß an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft erforderlich. Das Ideenmanagement ist eines der wenigen Instrumente, das allen Mitarbeitern ein permanentes Training für geistige Beweglichkeit bietet. Auf dieses „mentale Fitnesstraining“ ausgerechnet in dem Moment zu verzichten, in dem es besonders darauf ankommt, sich auf Neuerungen einlassen zu können, verbietet sich eigentlich schon von selbst.

• Mit den unternehmerischen Maßnahmen zur Krisenbewältigung sind für die Mitarbeiter meist erhebliche Zumutungen und Verzichtsleistungen verbunden. Das Ideenmanagement ist aus Sicht der Mitarbeiter ein Instrument, das ihnen Möglichkeiten gibt, etwas bewirken und mitsprechen zu können – und nebenbei auch noch etwas hinzuzuverdienen. Das Ideenmanagement auszusetzen, wäre insofern eine weitere Maßnahme, die den Mitarbeitern etwas „wegnehmen“ würde. Diese Beeinträchtigung wäre zudem relativ schwierig zu erklären, da zuvor jahrelang die Botschaft vermittelt wurde, wie wichtig die Beiträge der Mitarbeiter für Einsparungen und Verbesserungen sind.

Daher sollte das Ideenmanagement die vorhandenen Kanäle zum Einreichen offen und die Bearbeitungsprozeduren aufrechterhalten – das entspricht der „Haltefunktion“ durch Aufrechterhaltung von Normalität. Die Botschaft lautet dann: „Auch in dieser Zeit ist das Ideenmanagement für Sie da.“ Entsprechende Möglichkeiten sind bereits aus „normalen“ Zeiten bekannt und weitgehend zur Selbstverständlichkeit geworden:

• Rundschreiben oder Emails auch an die in Home-Offices tätigen Mitarbeiter. Videobotschaften im Intranet.

• Organisation von Telefon- oder Videokonferenzen für die Kommunikations- und Abstimmungsprozesse zur Bearbeitung und Entscheidung von Vorschlägen.

Mögliche Beiträge des Ideenmanagements zur Bewältigung des Notstands

Das Ideenmanagement verfügt in der Regel über einen organisatorischen Rahmen sowie über Instrumente und Kompetenzen, die nun gezielt zur Unterstützung bei der Bewältigung des Notstands eingesetzt werden können.

Am nächsten liegen Aktionen und Kampagnen, um Ideen für aktuelle Notwendigkeiten zu sammeln und zu bewerten (z.B. Infektionsschutz, flexible Organisations- und Kommunikationsformen, Sofort-Einsparungen ohne Ausgabenerfordernis). Einige Anregungen für potentielle Kampagnenthemen finden Sie in dem Blogbeitrag von Colin Nelson „Wie Sie in der Corona-Krise Ideen entwickeln und Ihre Mitarbeiter unterstützen“ vom 20.03.2020.

Das Ideenmanagement kann aber auch seine Kommunikationsmittel und bisher nur für die Ideenbearbeitung genutzten Workflows „zweckentfremden“, um weit jenseits der herkömmlichen Kernthemen des Ideenmanagements liegende Anliegen zu unterstützen. Einige Beispiele sind:

• Aktionen oder Kampagnen, in denen es um die Sammlung und das Sharing von Best Practice Beispielen für die Bewältigung von Alltagsherausforderungen im Notstand geht.

• Bereitstellung einer Kommunikationsplattform, die Mitarbeiter zum Austausch über (auch private) Sorgen, Belastungen und Nöte nutzen können – hierzu müsste lediglich eine neue Kategorie von Mitteilung (neben dem klassischen „Vorschlag“) eingeführt werden.

• Organisation von virtuellen Kaffeepausen, mit denen die Aufrechterhaltung des sozialen Kontakts mit und zwischen Mitarbeitern in Home-Offices (und/oder Kurzarbeit) unterstützt wird.

• Aktionen und Wettbewerbe, die Mitarbeiter dabei unterstützen und dazu anhalten, auch im Home-Office gesund zu arbeiten: nach einem definierten Feierabend wirklich aufzuhören; zwischendurch genauso Pause zu machen, wie es im Büro üblich war; und nicht zuletzt sich ausreichend zu bewegen (z.B. Vergleich der zurückgelegten Schritte per App).

Machen Sie sich bewusst und in Ihrem Unternehmen deutlich, dass die Art und Weise, wie das Ideenmanagement während der Krise gehandhabt wird, auf lange Zeit hinaus prägend dafür ist, wie sich die Ideen- und Verbesserungskultur nach der Krise entwickeln wird!

 

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